Project Details
Description
Das Forschungsprojekt ist an der Schnittstelle von Wortbildungswandel, deutscher Sprachgeschichtsforschung und historischer Soziolinguistik verortet. Ziel des Projekts ist es, für die frühe Phase der deutschen Sprachgeschichte (d. h. für das Alt- und Mittelhochdeutsche im Zeitraum zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert) Sprachwandelprozesse im Bereich der Wortbildung zu identifizieren und mit Bezug auf ihre treibenden Faktoren zu beschreiben. Zum Wortbildungswandel im frühen Deutsch ist bislang kaum etwas bekannt. Diese eklatante Forschungslücke ist umso erstaunlicher, als die Sprachgeschichtsforschung zum Deutschen seit dem 19. Jahrhundert umfangreiche Editionen, Wörterbücher und Grammatiken zum Alt- und Mittelhochdeutschen erarbeitet hat und zudem seit jüngster Zeit digitale und online durchsuchbare Korpora vorliegen. Die historisch-synchrone Forschung ist also weit fortgeschritten und bietet mit ihren reichhaltigen Ergebnissen beste Voraussetzungen für die Erweiterung um ein historisch-diachrones Forschungsparadigma. Dieses wird durch das hier vorgestellte Projekt bedient.Mit dem Fokus auf das Alt- und Mittelhochdeutsche konzentriert sich das Projekt auf eine historische Periode, während der die zunächst nur gesprochene „Volkssprache“ zunehmend verschriftlicht wurde und allmählich einen Ausbau ihres sprachlichen Zeicheninventars erfuhr. Sprachausbau, d. h. die Anreicherung einer Sprache mit sprachlichen Konstruktionen, die der aktuellen aussersprachlichen Realität gerecht werden wollen, bedient sich neben der Entlehnung von Lexemen vor allem der Möglichkeiten der Wortbildung. Die ursächliche Motivation für die Bildung neuer Wörter ist also aussersprachlich bzw. hier v. a. durch Sprachkontakt bedingt (z. B. Einfluss des Lateinischen). Demgegenüber kann der weitere Verlauf des Wortbildungswandels auch durch innersprachliche Faktoren gesteuert sein (z. B. Frequenzeffekte, Konkurrenz funktionsgleicher Affixe). Der „breite Blick“ auf eine bislang vernachlässigte historische Periode der deutschen Sprache, d. h. die Betrachtung von Wortbildungswandel und Sprachausbau aus einer aussersprachlichen (sozio-historischen) als auch einer innersprachlichen (formal-funktionalen) Perspektive, ist die wesentliche Besonderheit der Studie von Christian Schwarz. Aus formaler Sicht liegt der Fokus der Analysen dabei insbesondere auf der expliziten Derivation (Suffigierung) und der Komposition. Primäre Fragestellungen mit Bezug auf innersprachliche Faktoren beziehen sich auf die Muster des Wandels: Wie entwickeln sich einzelne Wortbildungselemente für sich betrachtet und wie interagieren diese mit anderen? Wie verhalten sich funktionsgleiche Elemente? Wirken sich funktionale Konkurrenzen zwischen diesen auf die Entwicklungsprozesse aus? Auch Grammatikalisierungsprozesse werden in den Blick genommen. Wie linear bzw. teleologisch zeigt sich beispielsweise der Entwicklungsprozess vom freien Lexem über das Suffixoid zum gebundenen Suffix aus korpuslinguistischer Sicht (z. B. bei den Suffixen -heit, -tuom, -âri, -unga, -lîch, -sam)?Als aussersprachlicher Steuerungsfaktor steht der Sprachausbau im Mittelpunkt: Welche Rolle kommt der Wortbildung neben anderen Möglichkeiten (z. B. der Entlehnung) beim Ausbau des deutschen Wortschatzes in der Zeit zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert zu? Inwieweit kann der Wortbildungswandel mit aussersprachlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit (Sprachkontakt, Schreiber, Produktionsmodus, Textsorte, Ort und Zeitstellung etc.) erklärt werden? Aus den Gesamtergebnissen soll zuletzt eine Periodisierung des in Betracht stehenden Zeitraums erstellt werden: Kann aus wortbildungsmorphologischer Sicht ein mehr oder weniger deutlicher Bruch zwischen den beiden Sprachstufen Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch herausgearbeitet werden (so wie in den Lehrbüchern tradiert) oder handelt sich aus Sicht der Wortbildung um ein Kontinuum?Zentraler methodischer Bestandteil des Projekts ist ein Korpus-Vergleich zwischen dem Referenzkorpus Altdeutsch (REA) und dem erst seit 2017 zugänglichen Referenzkorpus Mittelhochdeutsch (REM) . Wortbildungswandel kann durch diese Vergleichsmöglichkeit auf einer umfangreichen Datengrundlage untersucht werden. Dies ist für die analysierte zeitliche Periode vor allem deswegen relevant, weil es sich beim frühen Deutsch um eine nur lückenhaft überlieferte Varietät handelt. Für die weitergehende Interpretation der Daten werden rekonstruktive Methoden in Form von statistischen Verfahren und Analogen (Übertragung von Wortbildungsprozessen aus besser bezeugten historischen Epochen) angewendet. Darüber hinaus wird die Analyse aussersprachlicher Faktoren durch eine ausführliche Quellenanalyse bewerkstelligt. Da Dr. Schwarz die Frühphase einer Varietät beleuchtet, aus der später u. a. das Schweizerdeutsche hervorging, gewinnt das Forschungsprojekt im Schweizer Forschungskontext besondere Relevanz: Im Raum der heutigen Deutschschweiz wurde im frühen Mittelalter alemannisches Althochdeutsch gesprochen und geschrieben, dessen Überlieferung massgeblich durch die Schriften Notkers von St. Gallen (950-1022) geprägt wurde. Damit trägt das Projekt auch zur Erforschung des vor rund 1000 Jahren gesprochenen „Alt-Schweizerdeutschen“ bei.Durch Christian Schwarz und sein Forschungsprojekt gewinnt das CSLS einen Vertreter der historischen Soziolinguistik. Darüber hinaus verfügt Christian Schwarz aber auch in weiteren Forschungsfeldern über fachliche Expertise, die dem CSLS und seinen Mitgliedern zugutekommen werden. Vor allem ist hier die Dialektologie zu nennen, die am CSLS bislang nicht vertreten ist. Dr. Schwarz hat auf diesem Gebiet promoviert und lenkte in den letzten Jahren seinen dialektologischen Fokus auf die Deutschschweiz, wo er grossräumige ethnodialektologische Studien durchführte. Im Grenzraum Basel analysiere er ausserdem die linguistische Situation im grenzübergeifenden alemannischen Dialektkontinuum. In den letzten Jahren verknüpfte er seine dialektologischen Studien zudem mit Fragen der Mehrsprachigkeit, insbesondere mit Bezug auf die Region Südtirol. Für Studierende und Promovierende am CSLS, die dialektologisch oder im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung tätig sind, kann Christian Schwarz somit ein wichtiger Forschungspartner und Mentor sein. Der Kontakt mit ihm bietet den Mitgliedern des CSLS ausserdem die Möglichkeit von seinem inzwischen weiten wissenschaftlichen Netzwerk zu profitieren und in dieses nachhaltig eingebunden zu werden. Umgekehrt wird Christian Schwarz seinerseits von den Kontakten im CSLS profitieren und mit diesen sein Netzwerk weiter ausbauen können. https://korpling.german.hu-berlin.de/annis3/ddd https://www.linguistics.rub.de/rem/index.html
Status | Finished |
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Effective start/end date | 2/1/09 → 9/30/19 |
ASJC Scopus Subject Areas
- Language and Linguistics
- Linguistics and Language
- Cultural Studies
- Medicine (miscellaneous)